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Kurzporträt: Martin Meißner

Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Buchautor zum Bürgermeister gewählt wird.

Bekanntes Beispiel aus der Nachkriegszeit ist Hans Fallada (geboren als Rudolf Ditzen), Autor der Bestseller „Kleiner Mann – was nun?“ und „Jeder stirbt für sich allein“, der 1945 in der mecklenburgischen Kleinstadt Feldberg als Bürgermeister eingesetzt worden war. Auch ein späterer Absolvent des Literaturinstituts Johannes R. Becher, Franz Freitag, wirkte nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig in Mecklenburg als Bürgermeister.[1]Interview Marianne Jacob mit Herbert Jacob, 2021 Der in der DDR bekannte Kinder- und Jugendbuchautor Martin Meißner wurde 1990 zum stellvertretenden Bürgermeister von Klötze gewählt.

Mit freundlicher Genehmigung von Martin Meißner.

Meißner, der in seiner Jugendzeit als Bohrarbeiter und Matrose arbeitete, studierte von 1961 bis 1965 Pädagogik, Deutsch und Geographie an der Karl-Marx-Universität Leipzig und arbeitete danach als Fachlehrer. [2]Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. Von 1968 bis 1970 studierte er am Literaturinstitut J. R. Becher. Nebenbei veröffentlichte er einige Jugendbücher, wie „Die Pferdediebe von Seberitz“. Bevor er 1984 freischaffender Schriftsteller wurde, war er ab 1979 Lehrer an einer Sprachheilschule. Die Erfahrungen aus seinem Beruf werden insbesondere in dem einfühlsamen Kinderbuch „Manuel und der Waschbär“ aufgegriffen, mit einer Thematik, die auch in der DDR nicht alltäglich zur Sprache kam: „einem Kinderheim, einem guten, umsorgt von verständnisvollen Erziehern“ mit „dem freundlichen Sprachheillehrer, der sich sehr […] bemüht“.[3]Martin Meißner: Manuel und der Waschbär. 2. Aufl. Berlin 1983. Einbandtext. Erzählt wird die Geschichte von Manuel, einem Jungen, der bittere Enttäuschungen erlebt hatte, von einem Tier fasziniert wird, mit diesem Freundschaft schließt und langsam wieder Selbstvertrauen gewinnt. In den Geschichten von Meißner stehen oftmals die Mensch-Tier-Mensch-Beziehungen im Mittelpunkt der Handlungen, so wie auch in „Blitzard“ eine Taube, eine Igelfamilie in „Die Flöte mit dem Wunderhorn“, und Hengste in „Die Pferdediebe von Seberitz“.

Neben weiteren Jugendbüchern veröffentlichte Meißner einen „Kinderstadtführer Magdeburg“ (2003) sowie einen „Sachsen-Anhalt-Krimi“ unter dem Titel „Blutholz“ (2011).

Ich wachse immer morgens

Es ist morgens.

Das weiß Nora. Weil es hell ist. Weil sie nicht mehr schläft und schon auf dem Spielplatz sitzt. Morgens ist, wenn die Sonne zum Spielplatz kommt.

Das Mädchen sitzt im Sandkasten. Das heißt, auf einem Brett am Rand. Nur seine Füße sind im Sandkasten. Der Sand ist kalt. Nora merkt das, weil sie ihre Schuhe ausgezogen hat und die Strümpfe auch. Von oben aber werden ihre Füße warm, da sie in der Sonne sind.

Sie guckt ihre Füße an. Obwohl Nora sie kennt, guckt sie ihre Füße lange an. Als hätte sie die neu.

Nora weiß, wie sie heißt. Andere wissen das nicht. Auch ihre Mutter nicht. Sie ruft sie immer „Kleine“. Und weil ihre Mutter sie immer Kleine nennt, denken alle, so hieß sie und sagen Kleine zu ihr.

Andere Kinder wissen ihren Namen nicht und reden nicht mit ihr, weil sie nicht richtig sprechen kann. Und sie ist auch nicht richtig im Kopf, sagen sie gleich mit. Nora spricht gern. Aber weil sie keiner versteht, redet sie am liebsten mit sich selbst. Oder mit dem alten Mann. Der ihren Namen kennt.

Auf den wartet Nora jetzt. Denn morgens ist, wenn die Sonne auf ihre Füße scheint und der alte Mann gekommen ist. Auf der Bank sitzt, die am Nachmittag den Müttern mit ihren Kindern gehört.

Ich wachse so gern, hatte Nora mal zu dem alten Mann gesagt, als er sie ohne Schuhe und Strümpfe im Sandkasten sah. Am liebsten am Morgen.

Der Mann fand das lustig und lachte. Das hatte er noch gar nicht gehört, dass ein Mädchen nur am Morgen wuchs. Sie wuchs so gern, sagte sie, damit sie bald niemand mehr Kleine nennen konnte und jeder ihren richtigen Namen sagt.

Und damit Nora auch wirklich schnell wuchs, zog sie ihre Schuhe aus und die Strümpfe ebenfalls. Sie hielt ihre nackten Füße in die Sonne, was dem alten Mann ganz besonders gefiel.

Das machst du richtig, sagte er. Alles Leben braucht Sonne und kommt aus ihr.

Und dann fiel ihm noch was ein. Oder auch Nora selbst. Sie wusste es nicht mehr. Sie brachte am nächsten Morgen eine kleine Gießkanne voll Wasser mit. Und damit gossen sie ihre Füße. Nora zuerst. Aber bald half ihr dabei der alte Mann. Wie man Blumen oder Kohlpflanzen gießt, hielt er die Kanne schief und machte ihre Füße nass. Was die Wurzeln für die Pflanzen waren, wären die Füße für ein Kind.

So, nun kannst du schön wachsen, sagte er, als kein Wasser mehr in der Kanne war. Und dann schauten beide auf Noras Füße und freuten sich. Nora wartete darauf, dass es kribbelte. Und wenn es kribbelte, wusste sie, dass sie wieder ein kleines Stückchen größer geworden war.

Das machten sie, bevor die anderen Kinder kamen. Zum Schluss stellte sich Nora mit dem Rücken an einen kleinen Baum. Dann legte ihr der alte Mann die Hand auf den Kopf. So kontrollierte er, ob sie auch ordentlich wuchs. Zuletzt hob er Nora hoch. Damit sie den Unterschied auch richtig sah.

Martin Meißner: Ich wachse immer morgens, in: Ort der Augen 4 (2009)[4]Martin Meißner: Ich wachse immer morgens, in: OdA Ort der Augen 4 (2009). Die Rechte für diesen Text liegen beim Autor. Mit freundlicher Genehmigung von Martin Meißner.

Autorin: Marianne Jacob

References

References
1 Interview Marianne Jacob mit Herbert Jacob, 2021
2 Fragebogenauskunft an Marianne Jacob
3 Martin Meißner: Manuel und der Waschbär. 2. Aufl. Berlin 1983. Einbandtext.
4 Martin Meißner: Ich wachse immer morgens, in: OdA Ort der Augen 4 (2009). Die Rechte für diesen Text liegen beim Autor. Mit freundlicher Genehmigung von Martin Meißner.

Kurzporträt: Friedrich Blass

Mit freundlicher Genehmigung von Käthe Blass

Friedrich Blass, Sohn eines Zimmermanns und einer Hausfrau wurde im September 1928 in Czernowitz geboren.[1]Friedrich Blass: Interview mit Marianne Jacob. Blass ist der erste und zugleich der älteste von mir interviewte Autor in der Reihe der Fragebogenaktion „Autoren Antworten“. Czernowitz war in dieser Zeit eine heterogene rumänische Stadt mit einer interkulturellen Bevölkerung aus Deutschen, Russen, Ukrainern, Polen und Juden. Nach dem Ribbentrop-Molotow-Pakt (1939) zwischen Hitler und Stalin wurde die Stadt im Juni 1940 besetzt und die deutsche Bevölkerung mit der Parole „Heim ins Reich“ in heutige polnische Gebiete umgesiedelt. Czernowitz musste später eine wechselvolle Geschichte durchleben, gehörte 1940-41 zur UdSSR, danach bis 1944 zu Rumänien, anschließend zur UdSSR, sie befindet sich heute in der Ukraine. Auch Familie Blass wurde umgesiedelt und kam nach dem II. Weltkrieg als Flüchtling  nach Bitterfeld.[2]Käthe Blass: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. Blass arbeitete nach dem Besuch der 10. Klasse seit 1945 als Arbeiter, erhielt eine Ausbildung als Zahntechniker und besuchte diverse Kurse an Volkshochschulen;[3]Ebenda später zog er nach Halle. Hier war er im „Zirkel Schreibender Arbeiter“ und veröffentlichte seine erste Arbeit in der Anthologie „Greif zur Feder, Kumpel“.[4]Herbert Jacob: Literatur in der DDR. Bibliographische Annalen 1945-1962. Bd 2, S. 890 und Bd 3, S. 890. Berlin 1986. Später schrieb er Kurzgeschichten, vor allem Erzählungen für Kinder.[5]Käthe Blass: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob Der Autor studierte von 1959 bis 1960 im Direktstudium am Literaturinstitut Johannes R. Becher und hat, wie aus der Fragebogenaktion hervorgeht, noch eine lebhafte Erinnerung an viele Studierende aus dieser Zeit, wie z.B. an Dora Hajek, Lisa Wolfram, Günter Rumposch, Paul Rölle und Fritz Wege. Nach dem Studium war Blass Verlagsassistent und später Lektor[6]Käthe Blass: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. am 1960 neugegründeten DDR-Verlag für Grundstoffindustrie, einem Fachverlag für Bergbau und Energie, mit Sitz in Leipzig, der 1990 von der Treuhand verkauft, später eingestellt wurde und damit das gleiche Schicksal, wie fast alle DDR-Verlage erlitt.[7]Friedrich Blass: Interview mit Marianne Jacob. Im Jahre 1982 zog Blass nach Berlin und verstarb hier 2020.[8]Die Autorin dankt Burkhard Blass und Frau Käthe Blass für die weiterführenden Auskünfte und die Unterstützung der Forschungsarbeiten.

Von Marianne Jacob

References

References
1 Friedrich Blass: Interview mit Marianne Jacob. Blass ist der erste und zugleich der älteste von mir interviewte Autor in der Reihe der Fragebogenaktion „Autoren Antworten“.
2, 6 Käthe Blass: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob.
3 Ebenda
4 Herbert Jacob: Literatur in der DDR. Bibliographische Annalen 1945-1962. Bd 2, S. 890 und Bd 3, S. 890. Berlin 1986.
5 Käthe Blass: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob
7 Friedrich Blass: Interview mit Marianne Jacob.
8 Die Autorin dankt Burkhard Blass und Frau Käthe Blass für die weiterführenden Auskünfte und die Unterstützung der Forschungsarbeiten.

Kurzporträt: Gerd Bieker

Gerd Bieker 1988. Foto von Klaus Morgenstern. Quelle: SLUB / Deutsche Fotothek

Betrachtet man Veröffentlichungen bekannter, aber auch unbekannterer Künstler*innen, geht es ihnen nicht nur um Alltag, Sehnsucht, Schicksal und Begehren. Verarbeitet werden auch andere Themen, ohne dass die Publizierenden zugleich auch politische oder umweltpolitische Demagog*innen sein müssten.[1]Vgl. Gerd Bieker: Interview mit Marianne Jacob. 2021

So verfasste Gerd Bieker den Roman „Die Dorflinde“.[2]Gerd Bieker: Die Dorflinde. 1987. In dem generationsübergreifenden Jugendbuch, welches in der erzgebirgischen Heimat des Dichters spielt, fallen Hecken und Gehölze an Feldrändern der Erweiterung von Feldflächen zum Opfer. Auch die uralte Linde im Dorf soll gefällt werden. Ob diese doch noch gerettet werden konnte und inwiefern man Erfahrungen alter Bauern aufnehmen sollte, verrät uns dieses Buch.

Gerd Bieker, Sohn eines Hauptbuchhalters und einer Sekretärin, lebte über 60 Jahre in Chemnitz/ Karl-Marx-Stadt.[3]Gerd Bieker: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. Der in Grünhainichen Gebürtige arbeitete seit seiner Buchdruckerlehre bei der „Volksstimme“ in Chemnitz/sp. Karl-Marx-Stadt, seit 1957 ebendort als Zeitungsdrucker an Rotationsmaschinen.[4]Ebenda. Er war von 1960-1963, u.a. neben Wolfgang Eckert, Alfons Linnhofer (†) und Klaus Steinhaußen (†) Direktstudent am Becher-Institut in Leipzig. Nach dem Studium veröffentlichte er 1963 mit den Absolventen des Instituts Günter Glante und Rolf Merckel (†) eine „Zirkusreportage“. Bieker wirkte als Kulturinstrukteur beim Kulturbund der DDR und leitete mehrere Zirkel Schreibender Arbeiter, bevor er 1970 freischaffender Autor wurde.[5]Ders. ebenda.

Gerd Bieker bei seiner täglichen Presseschau 2021.[6]Gerd Bieker: Kartengruß an Marianne.Jacob, 17. 12. 2021. Mit freundlicher Genehmigung von Gerd Bieker

„Mit dem Satz: ‚Dieses Buch hat nichts mit unserem sozialistischen Lebensgefühl gemein!‘, begann Erich Honecker 1965 auf dem 11. ZK (M.J.: der SED)- („Kahlschlag“)-Plenum seine Beschimpfung der Schriftsteller […]. Gemeint war mein Debütroman „Sternschnuppenwünsche“. Auf sein Veto hin, wurde die erste Druckauflage […] gecancelt. Aber die Personagen wechselten; nach fünf Jahren Denk- und Lektoratszeit erschien das Buch in üppigen Auflagen.“[7]Ebd.

Bieker reiste mehrfach in die UdSSR und nach Rumänien, um Kontakt zu den dortigen Schriftstellerverbänden zu halten. Zu seinen literarischen Vorbildern zählt er Jerome D. Salinger, Thomas Wolfe und die Russischen Dorfliteraten.[8]Ders. ebd. Veröffentlicht hat er selbst Erzählungen, Romane, Reportagen und auch einige Kinderhörspiele.[9]Bieker bedankte sich in einem Brief für die Forschungs- und Fragebogen-Arbeiten am DDR-Literaturprojekt mit den Worten: „Das Vorhaben ist für mich und gewiß auch andere Kollegen sehr … Continue reading

Gerd Bieker verstarb unerwartet am 12. Juli 2022.[10]Auskunft: Herbert Jacob und Wolfgang Eckert.

Von Marianne Jacob

References

References
1 Vgl. Gerd Bieker: Interview mit Marianne Jacob. 2021
2 Gerd Bieker: Die Dorflinde. 1987.
3 Gerd Bieker: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob.
4 Ebenda.
5 Ders. ebenda.
6 Gerd Bieker: Kartengruß an Marianne.Jacob, 17. 12. 2021.
7 Ebd.
8 Ders. ebd.
9 Bieker bedankte sich in einem Brief für die Forschungs- und Fragebogen-Arbeiten am DDR-Literaturprojekt mit den Worten: „Das Vorhaben ist für mich und gewiß auch andere Kollegen sehr ermunternd“. Gerd Bieker: Brief an Marianne Jacob, April 2021.
10 Auskunft: Herbert Jacob und Wolfgang Eckert.

Kurzporträt: Karl Sewart

Es gibt recht bemerkenswerte Beispiele dafür, wie ein gewöhnlicher Lehrer auch erfolgreicher Buchautor werden konnte; sind doch die Aufgabenbereiche von Pädagog:innen und Schriftsteller:innen teilweise durchaus überschneidend: Beide müssen recherchieren, beobachten, zuhören, vermitteln und erzählen können.

Auch unter den Absolvent:innen der Leipziger Autorenschule gab es Schreibende Lehrer oder Lehrer als Schriftsteller, wie beispielsweise Wolfgang Buschmann und Karl Sewart.

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Kurzporträt: Rolf Merckel

10 Jahre, nachdem der Deutsche Fernsehfunk mit einem Sender seinen regulären Programmbetrieb aufnahm, begann am 3. September 1967 die Ausstrahlung der ersten Vorabend-Serie im Fernsehen der DDR „Harras, der Polizeihund“ mit der Folge 1 „In letzter Minute“. Szenarist war Rolf Merckel.(Obwohl sich Merckel nicht mehr an der Fragebogenaktion beteiligen konnte, wurde er in diese Reihe aufgenommen, da der Verfasserin der handgeschriebene Lebenslauf vorlag. – Vgl. Sammlung Jacob, 1959.) Held der Filme, die mit Unterstützung der Deutschen Volkspolizei entstanden und im Studio Halle des DFF produziert wurden, ist Spürnase „Harras“. Er hilft bei der täglichen Polizeiarbeit, Verbrechen aufzudecken und stöbert Straftäter, wie Einbrecher, Brandstifter und Mörder auf. Ausgestrahlt wurden insgesamt nur 3 Folgen der ursprünglich 8-teiligen Serie. 3 Teile davon, bei denen Merckel Autor und Szenarist ist (Merckel, Rolf: Szenarium für: F. 5: Mord im Hafen; F. 6: Spiel mit dem Leben, F. 7: Die Party. – Recherche Marianne Jacob.), wurden nicht gezeigt, obwohl darin bekannte Schauspieler, wie Hans-Edgar Stecher, Vera Oelschlegel und Jürgen Zartmann (später in Polizeiruf 110) mitwirkten. Die Filme wurden 2016 digital restauriert und als DVD herausgegeben (Studio Hamburg Enterprises); Folge 3 gilt heute leider als verschollen. (Vgl. Studio Hamburg Enterprises (Hg.): Harras der Polizeihund. DDR TV-Archiv. 2016 [DVD].) Die Serie „Harras“ stand in der Tradition des russischen Filmes „Polizeihund Muchtar“ (1965 im Kino der DDR gezeigt, 1968 im DFF), der wiederum Vorbild für die österreichische Fernsehserie „Kommissar Rex“ wurde.

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