Katja Lange-Müller, geboren 1951 in Berlin, studierte von 1979 bis 1982 am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Obwohl sie mit 16 Jahren wegen „unsozialistischen Verhaltens“ ohne Abitur von der Schule verwiesen worden war und 1976 zu den Unterzeichner*innen der Petition gegen die Biermann-Ausbürgerung gehörte, wurde sie – gegen den expliziten Einspruch der Leiterin der Abteilung Kultur des Zentralkomitees (ZK) der SED, Ursula Ragwitz[1]Isabelle Lehn; Sascha Macht; Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur Johannes R. Becher. Göttingen 2018, S. 507. – zum Studium zugelassen. Die ausgebildete Schriftsetzerin, deren Mutter Inge Lange Mitglied des ZK der SED und Kandidatin des Politbüros war, hatte zuvor in ihrem Beruf und als Umbruchredakteurin gearbeitet und war mehrere Jahre Pflegerin in der Psychiatrie gewesen. Zur Immatrikulation am Literaturinstitut kam es durch ihren Namenswechsel. In Katja Müller (verheiratet mit Wolfgang Müller, dem Bruder Heiner Müllers) erkannten Kaderleitung und Sicherheitsorgane die Tochter der hohen SED-Funktionärin nicht. Der Namenswechsel ließ die Immatrikulation bis zu der Phase fortschreiten, dass sie nur unter peinlichem Skandal rückgängig zu machen gewesen wäre.[2]Vgl. Johannes Nichelmann: Portrait einer Schriftstellerin: Die autonome Republik Katja Lange-Müller. … Continue reading
Zwei Jahre nach Beendigung ihres Studiums verließ sie die DDR. 1986 wurde sie für ihre Prosa mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. In einer Podiumsdiskussion über die Geschichte des Literaturinstituts hob sie 2014 hervor, sie habe dort einen analytisch-kritischen Umgang mit dem literarischen Text erlernt. Vor allem die Dynamik der persönlichen Beziehungen habe viel bewirkt. Inner- wie außerhalb des Instituts hätten die Schreibenden einer bestimmten Gruppe ihre literarischen Arbeiten gegenseitig zur Kenntnis genommen. „Das war sowieso ein Merkmal der DDR, dass man ganz oft mit Texten auf andere Texte geantwortet hat“.[3]Katja Lange-Müller im Podiumsgespräch am Deutschen Literaturinstitut Leipzig am 16.7. 2014. Zitiert nach Isabelle Lehn; Sascha Macht; Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut … Continue reading
Lange-Müller war Teil der inoffiziell publizierenden Literaturszene, ihre Kurzprosa erschien 1984 in der Zeitschrift „Mikado“ und in der spektakulären, von Sascha Anderson und Elke Erb herausgegebenen Anthologie „Berührung ist nur ein Randerscheinung. Neue Literatur aus der DDR“, die nach längeren Auseinandersetzungen 1985 nur in der Bundesrepublik erscheinen konnte.[4]Zur Publikationsgeschichte vgl. Birgit Dahlke: „Die Fahnen faulen die Zeichen / sind abgenutzt“ (Uwe Kolbe). Zur deutsch-deutschen Geschichte der Anthologie Berührung ist nur eine … Continue reading
In Katja Lange-Müllers als künstlerische Abschlussarbeit eingereichten Sammlung von Lyrik und Prosa findet sich ein Vierzeiler, dessen Sarkasmus von der Gattungsparodie bis zur Metaphernverkehrung ihren Dozent*innen am Institut wohl kaum entgangen sein dürfte:
„Märkische Käfer (ein Friedenslied)
Leise rinnt der Rägen, wie weiches Gewelk
zu Füssen der Gräser sich Kerfe versammeln
launig geborgen im Wiesengebälk
und unter Panzern: die Wehrhaften gammeln.”[5]Katja Lange-Müller: Gedichte und Prosa. Künstlerische Abschlussarbeit, eingereicht 1982, unveröff., o.O. Zitiert nach Isabelle Lehn; Sascha Macht; Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. … Continue reading
Von Birgit Dahlke
References
↑1 | Isabelle Lehn; Sascha Macht; Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur Johannes R. Becher. Göttingen 2018, S. 507. |
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↑2 | Vgl. Johannes Nichelmann: Portrait einer Schriftstellerin: Die autonome Republik Katja Lange-Müller. https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-kulturfeature/schriftstellerin-katjalange-mueller-100.html – Minute 35-38. |
↑3 | Katja Lange-Müller im Podiumsgespräch am Deutschen Literaturinstitut Leipzig am 16.7. 2014. Zitiert nach Isabelle Lehn; Sascha Macht; Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur Johannes R. Becher. Göttingen 2018, S. 74, s.a. 71. |
↑4 | Zur Publikationsgeschichte vgl. Birgit Dahlke: „Die Fahnen faulen die Zeichen / sind abgenutzt“ (Uwe Kolbe). Zur deutsch-deutschen Geschichte der Anthologie Berührung ist nur eine Randerscheinung (1985), in: Literatur in der DDR im Spiegel ihrer Anthologien. Ein Symposium. Buchwissenschaftliche Forschungen Bd. 5/2005. Hg. von Günter Häntzschel. Wiesbaden 2005, S. 167–180. |
↑5 | Katja Lange-Müller: Gedichte und Prosa. Künstlerische Abschlussarbeit, eingereicht 1982, unveröff., o.O. Zitiert nach Isabelle Lehn; Sascha Macht; Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur Johannes R. Becher. Göttingen 2018, S. 509. |