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Kurzporträt: Gunter Preuß

In einem Unterrichtsraum des Literaturinstituts J. R. Becher, rechts: Gunter Preuß und links Peter Biele mit einem weiteren Kommilitonen. Mit freundlicher Genehmigung von Gunter Preuß

Fast unbemerkt von den großen Medien erschien im Coronajahr 2021 die Geschichte „Neues von Gretel und Hänsel“ von Gunter Preuß im Leipziger Engelsdorfer Verlag. Preuß, der die Handlung des weltbekannten Märchens der Brüder Grimm in die heutige Zeit überträgt und damit auch neue Fragen aufwirft, hat dieses Buch nicht nur für Kinder, sondern auch besonders für Erwachsene geschrieben. Die Rezension von Ralf Julke, ebenfalls ehemaliger Absolvent des Leipziger Literaturinstituts, ist tiefgehend, deutend und aufrüttelnd.[1]Vgl. Ralf Julke: [Rez.], in: Die Leipziger Zeitung (L-IZ), 18. Februar 2021.

Gunter Preuß, der in nahezu jedem einschlägigen deutsch-deutschen Literatur-Lexikon aufgeführt wird, war beruflich zunächst als Fernmeldemechaniker, Güterbodenarbeiter bei der Deutschen Reichsbahn, Lagerist und Hollerith-Mechaniker tätig, bevor der Leistungssportler im Judo ein Studium an der Fachschule für Artistik in Berlin begann. Dieses Studium musste er aus gesundheitlichen Gründen jedoch abbrechen.[2]Gunter Preuß: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. Selbst schon frühzeitig schriftstellerisch tätig, betreute der Autor in Leipzig Schreibende Arbeiter im „Klubhaus der Eisenbahner“[3]Ebd. und studierte schließlich zwischen 1970 und 1974 am Leipziger Literaturinstitut. Zu seinen Kommilitonen gehörten u.a. auch Wolfgang Buschmann, Jürgen Köditz, Martin Meißner und Horst Seidel. Als erfolgreicher Prosaist, Kinderbuchautor, Lyriker und Dramatiker erhielt Preuß in der DDR mehrere Auszeichnungen, war seit 1979 Mitglied des Schriftstellerverbandes und von 1986 bis 1988 Oberassistent im Fach Prosa am Literaturinstitut Johannes R. Becher. 

Gunter Preuß, November 2021. Mit freundlicher Genehmigung von Gunter Preuß

Mit Werner Heiduczek und Herbert Günther war Preuß verbunden und er fühlt sich inspiriert „von nicht nur deutschen Autoren und Werken aus der Weltliteratur, die [ihn] lebenslang begleitet haben, bis ins Alter [auch von] Märchen, hauptsächlich [denen] der Grimms […] und [den] Russischen Volksmärchen.”[4]Ebd.

Nach der Wende veröffentlichte Preuß zahlreiche literarische Werke, die von seinem breiten Œuvre zeugen: Fiktionale Darstellungen, Erzählungen, Texte für Hörspiel, Theater und Fernsehen, Aufsätze und Interviews, Aphorismen und Sprüche, Betrachtungen, Kinder-, Jugend- und Bilderbücher, Gespenster-, Tier- und Schulgeschichten. Seine Werke, die in gewisser Weise auch an Günther Kunert erinnern, wurden übersetzt und sogar für Sehbehinderte in Blindendruck publiziert. Für sein Lebenswerk wurden ihm u.a. der Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin und der Gellert-Preis verliehen. Gunter Preuß ist Mitglied des PEN und des Verbandes Deutscher Schriftsteller. 

„Das Leben ist ein Schulmeister, der so manchen im hohen Alter als Analphabeten entlassen muss. Einige seiner Schüler lässt es bereits in der Grundschule sitzen bleiben. Das Gros bilden die Mittel- und Oberschüler, die, nachdem sie sich im Beruf und Gesellschaft etabliert haben, bis zu ihrem Ende auf die eine oder andere Weise auf der Stelle treten. Die Minderzahl, alles in allem gesehen ein Häufchen, bleibt lebenslang im Unterricht, wobei es mit seiner nicht enden wollenden Fragerei und den gefundenen Antworten sogar den verehrten Lehrer das eine und andere Mal in Erklärungsnot zu bringen weiß. Meist sterben die, welche das Häuflein der Willwissenden ausmachen, mit einer Frage auf den Lippen. Die aber wüsste dann nur noch der Tod zu beantworten, der als Weiser nur lächelt und unerbittlich schweigt.“

Aus: G. Preuß: „Vor Toresschluss“, erschien 2022. Mit freundlicher Genehmigung von Gunter Preuß

Von Marianne Jacob

References

References
1 Vgl. Ralf Julke: [Rez.], in: Die Leipziger Zeitung (L-IZ), 18. Februar 2021.
2 Gunter Preuß: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob.
3, 4 Ebd.