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Kurzporträt: Horst Seidel

Horst Seidels Texte sind zeitbezogen, bodenständig und kritisch. Seine Protagonisten sind stets, wie auch in den Werken von Hans Fallada, die kleinen Leute. In seinem Buch „Warten auf Anschluss“, in dem Seidel mehrere Prosatexte vereint, stechen neben der Titelgeschichte „Die tragischen Abstürze einer Büroklammer“ auch „Drei Wünsche einiger Autoren an die Politik“ sowie die Erzählung „Die Katze II“ hervor, in der die Alltagswelt der Verwaltungsangestellten „Frau Müller“ geschildert wird:

Horst Seidel bei einer Signierstunde. Mit freundlicher Genehmigung von Horst Seidel

„Im fünften Jahr nach der Wende durfte Frau Müller bei einer Behörde arbeiten und hatte berechtigte Hoffnungen gehegt, fest eingestellt zu werden […]. Ihr Dienstherr war ein Verkehrsamt, das hatte mit Kraftfahrzeugen zu tun, und denen gehörte […] die Zukunft auf dem Markt. Diesen nun, statt der früheren Planwirtschaft vertrauend, fühlte sich Frau Müller jung und dynamisch. Und sie war es auch.“[1]Horst Seidel: Warten auf Anschluss. Unterwegs lesen, Dresden 2012, S. 44. Die Protagonistin ordnet Karteien, händigt KFZ-Papiere aus, wird mit Computerarbeiten vertraut und versorgt die Bürokatze Mizzi: „Es war ein schöner Sommer und Mizzi passte gut in die Grünanlagen vor dem Gebäude. Eines Tages bedauerte der Chef, Frau Müller im sogenannten ABM-Verhältnis und also überhaupt weiterbeschäftigen zu können. Etwas später war auch die Katze weg.“ Die Erzählung schließt so lakonisch wie tragisch: „Anfangs wurden beide noch vermisst: Müller und Mizzi. Und so sehr auch alle beider Verschwinden bedauerten, niemand suchte, nicht einmal in der Umgebung.”[2]Ebd., S. 45.

Horst Seidel mit seiner Ehefrau M. Seidel. Mit freundlicher Genehmigung von Horst Seidel


Der Autor Seidel, der es „außerordentlich verdienstvoll“ findet, dass das Forschungs-Projekt „sich der DDR-Literaturwelt zuwendet“[3]Horst Seidel: Brief an Marianne Jacob 8.3.2021., studierte zuerst zwischen 1957 und 1960 an der Fachschule für Bibliothekswesen Leipzig, besuchte anschließend eine Spezialschule für Leiter des Künstlerischen Volksschaffens, studierte dann von 1970 bis 1973 u.a. zusammen mit Gunter Preuß, Wolfgang Buschmann, Peter Biele (†) und Christos Polichronides (†) am Becher-Institut und später, nach der Wende, in Darmstadt Karikatur- und Pressezeichnung.[4]Horst Seidel: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob. So illustrierte er einige seiner Bücher selbst, wie das im Engelsdorfer Verlag erschienene bemerkenswerte Jugendbuch über den Einzug der Wölfe im Lausitzer Raum[5]Horst Seidel: Oli, Felix und die Wölfe, Leipzig 2008., welches „auf Anregung von Joachim Nowotny, einem Schriftsteller, Freund und Lehrer vom Literaturinstitut entstanden”[6]Horst Seidel: Brief an Marianne Jacob 8.3. 2021. ist. 2020 erschienen „Die Wasserfänger oder ein Leben reicht nicht“. Zur Zeit arbeitet Seidel an seinem Kurzroman „Das Überleben oder Deutschland – eine Frühlingslegende“.[7]Horst Seidel: Kartenbrief an Marianne Jacob 12.1.2022.

Von Marianne Jacob


References

References
1 Horst Seidel: Warten auf Anschluss. Unterwegs lesen, Dresden 2012, S. 44.
2 Ebd., S. 45.
3 Horst Seidel: Brief an Marianne Jacob 8.3.2021.
4 Horst Seidel: Fragebogenauskunft an Marianne Jacob.
5 Horst Seidel: Oli, Felix und die Wölfe, Leipzig 2008.
6 Horst Seidel: Brief an Marianne Jacob 8.3. 2021.
7 Horst Seidel: Kartenbrief an Marianne Jacob 12.1.2022.